Nun, wie ich sehe ist dein Erstaunen nicht nur gespielt.
Zu Deiner ersten Frage, das BGB trat 1900 in Kraft. Da war der Notwehrparagraph schon drin.
Ausschlaggebend sind für mich aber nicht Gesetze. Denn Gesetze können gut, oder schlecht sein, wie etwa das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Ich ziele daher auf moralische Begriffe ab, die das Erbe der Menschheit sind. Dieses Verfahren erweist sich als weitaus schwieriger, als nur Befehlen und Gesetzen zu gehorchen, doch letztenendes sind die Gesetze nur unzulängliche Mittel, die eben diesem Zwecke dienen sollen. Außer bei absichtlich schlechten Gesetzen natürlich, wie oben erwähnt.
Der Punkt ist letztenendes, daß sich das Individuum nicht selbst aus der eigenen Entscheidung, mag diese auch noch so schwierig sein, entlassen kann. Gesetze, Befehle, dies ist zwar alles vorhanden, hat aber an sich nichts mit der Entscheidung des Einzelnen zu tun, sondern, diese erfolgt unabhängig von diesen Umständen. Damit meine ich, er kann sich für oder gegen das Befolgen dieser Dinge entscheiden, es gibt keinen Automatismus. (Ich glaube, soweit sind wir uns einig, da dies offensichtlich ist. Wäre es nicht so, gäbe es ja auch keine Befehlsverweigerung und keine Bankräuber mehr.)
Und was soll das mit dem Beweis gegen den Täter? Ich brauche keinen Beweis. Ich kann in dieser Situation auf Gerechtigkeit und die Hilfe irgendwelcher Gerichte nicht hoffen. Ich bin ganz auf mich allein gestellt, um das Leben Unschuldiger zu retten und nur ich selbst kann dies tun und werde dabei selber höchstwahrscheinlich draufgehen.
Es ist daher sehr unwahrscheinlich, daß ich mich jemals vor Gericht verantworten muß; aber auch für den Fall, daß es so ist, werde ich sicher nicht meine Maßnahmen einstellen, weil ich keine Beweise für irgendein Gericht habe.
Du verkennst die solitäre Ausnahmesituation, in der solch ein Mensch steht; sein Leben ist unmittelbar bedroht, er wird sicher nicht an Gerichte denken, die vielleicht einmal in vielen Jahren tagen werden. Und selbst wenn es tagt und selbst wenn er ein ungerechtes Urteil empfangen sollte (was sehr unwahrscheinlich ist), so ist der Preis, das Leben der Geiseln gerettet zu haben, dies dennoch wert. (Denn in diesem Fall hat er sie gerettet, sonst hätte er nicht überlebt.)
Wenn ich recht handeln will, dann lasse ich mich dabei von niemandem abhalten, von keinem General, keinem Gott und keinem Gericht.
Tue Recht und scheue niemand!
Was euch dabei offenbar so gegen den Strich geht, ist, daß nur ich selbst über das entscheide, was Recht ist. Ja, das ist so; aber das ist auch die einzige Möglichkeit, gewissenhaft zu handeln. Jegliche Delegation dessen an Befehl und Gesetz ist gewissenlos und führen in die Irre. Denn wie soll ich erkennen können, ob ein Gesetz oder ein Befehl gut oder verbrecherisch ist? Bekanntlich gibt es gute und verbrecherische Befehle und Gesetze. Dies kann ich doch nur durch mich selbst, durch mein eigenes Denken und mein eigenes Urteil darüber erkennen. Also sind Gesetze und Befehle nur eine Verschiebung des Problems, die aber zu keiner Lösung führen. Das Problem bleibt in gleicher Weise bestehen. Jeder kann nur selbst erkennen, was Recht ist und danach handeln. Niemand kann ihm das abnehmen.
Darüber solltet ihr noch einmal nachdenken und dieses Prinzip anerkennen.
Nur die ganz Gewissenlosen und die ganz Dummen und Einfältigen glauben, daß sie durch Gehorsam gegenüber Befehlen und Gesetzen ihre Schuldigkeit getan haben. Aber das ist nicht so. Sondern, wenn sie verbrecherischen Gesetzen und Befehlen gehorchen, werden sie ebenso schuldig, als wenn sie diese Beschlüße allein getroffen hätten.
Nun zu der Wirkung der von mir vorgeschlagenen Maßnahmen.
Ich werfe mich ja nicht einfach in die Schußbahn, das wäre Unsinn. Sondern, ich ergreife angemessene Gegenmaßnahmen. Eine Gegenmaßnahme wäre z.B., daß ich mich an der Erschießung nicht selber beteilige. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.
Eine weitere wäre, daß ich die Durchführung verbiete oder gegen sie Einspruch erhebe. So etwas kann, in der entsprechenden Position oder in der richtigen Form vorgebracht, oft von großer Wirkung sein.
Wenn dies aber nicht zum Erfolg führt, so richte ich meine Waffe auf das Erschießungskommando und fordere es auf, abzurücken.
Hat dies immer noch keinen Erfolg, so schieße ich sie nieder.
Sicher ist es nicht immer möglich, alle Schritte auszuführen, deshalb müssen gegebenfalls einige der Zwischenschritte unterbleiben.
Es kann nötig sein, sie ohne Vorwarnung zu erschießen, z.B. wenn sie schon mehrere Erschießungen durchgeführt haben und meine Einwendungen keinen Erfolg gezeitigt haben.
Im günstigsten Fall verhindere ich also die Erschießung und im schlechtesten Fall habe ich wenigstens nicht daran teilgenommen oder einige Soldaten des Erschießungskommandos erschossen.
Ersteres hat den Sinn, daß ich mich nicht persönlich mit Schuld beflecke; Letzteres hat den Sinn, daß einige Verbrecher für ihre Tat bestraft wurden, nämlich die, die ich erschossen habe; außerdem, daß diese Soldaten jetzt nicht mehr für den Kampf zur Verfügung stehen, also ein militärischer Vorteil für die Kräfte des Rechts erzielt wurde.
Und selbst wenn meine Maßnahme mißlingen sollte und mein Versuch nur dazu führt, daß ich selbst erschossen werde, so bleibt mir dennoch die Gewißheit für das Recht gekämpft zu haben! Ich habe dann als braver Soldat im großen Befreiungskrieg der Menschheit auf der richtigen Seite gekämpft, wenn ich auch der Übermacht des Bösen physisch unterlegen bin. Das ist Lohn genug.
"Ich sterbe als Soldat und brav!"
Im übrigen gibt es niemals eine Gewißheit, daß eine Maßnahme mißlingt; es gibt immer eine Chance, auch wenn es eine geringe sein mag, daß sie gelingt. Darum ist es immer wert, das Risiko einzugehen, wenn es um die Abwehr des Todes Unschuldiger geht!
Und Masterlow: Nein, es zählt sehr wohl was richtig und falsch ist. Auch im Krieg. Und im übrigen hat jeder lange genug Zeit, um nachzudenken, bevor er zum Einsatz an der Front kommt. Vorher muß er nämlich erstmal eingezogen, ausgebildet und an die Front gefahren werden, was mindestens einige Wochen dauert. (Die kürzestmögliche Grundausbildungszeit beträgt wohl 6 Wochen und auch dann habe ich nur einen Soldaten mit sehr geringer Erfahrung und Kampfkraft.) Also genug Zeit um nachzudenken. In so eine Situation gelangt man nicht in fünf Minuten! Man hat genug Zeit um darüber nachzudenken und eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen, wie: ich kämpfe nicht für diese Verbrecher! Und selbst vor der Einziehung sieht man ja, daß der Krieg begonnen hat und diese auf einen zukommt. Also hat man Gelegenheit, sich dieser z.B. durch Flucht zu entziehen.
Geändert von Moltke (15-05-2006 um 01:19 Uhr).
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