PDA

Vollständige Version anzeigen : Widda Weihnachten: Antreten zur Andacht!


Germane45
17-12-2003, 14:21
Mittlerweile komme ich mir vor wie meine Omma: »Watt? Is schon widda Weihnachten? Geht au jedes Jaah schneller!« Dass die heiße Phase unmittelbar bevorsteht, wird mir jedes Jahr auf dem Friedhof, klar, pardon: »au’m Frittoff«.

Am Samstag vor Totensonntag klingelt das Telefon und ich höre die Jahre lang von Lord Extra angeraute Stimme, die mich in westfälischer Herzlichkeit anraunzt: »Hömma, wir müssen ma widda na’m Frittoff.« Und überflüssigerweise setzt sie hinzu: »Bei Oppa am Grapp!« – wobei man das »a« in Grapp so gut wie gar nicht hört. Eigentlich klingt das ganze Wort wie wenn ein Dackel nach irgendwas schnappt, ohne es zu erwischen.

Am Nachmittag des Totensonntag hole ich also meine Omma gegen halb vier ab, und wir fahren zum Friedhof an der Bochumer Blumenstraße, schlendern ein wenig übers Gelände und machen dabei ein paar Umwege, damit Omma möglichst viele Gräber kommentieren kann: »Kumma, da hinten liecht die olle Raschke. Ker, sieht dat Grapp scheiße aus. Na, die hat ja auch schon lebendich nix getaucht. Den alten Schupp, den hammse ja verbrannt, weil se sicher gehen wollten, datt der au wirklich nich widda kommt. Und kennze eigentlich die Geschichte von Horst und Erna Klappek?« – »Hast du mir schon an die hundert Mal erzählt.« – »Und? Hasse dich gelangweilt?« – »Gelangweilt wäre das falsche Wort.« – »Dann beschwer dich nich!« Und so höre ich zum ich weiß nicht wievielten Male die Geschichte von Horst, Erna und Dietrich und was auf der Herrentoilette der Ausflugsgastätte »Zur Gemütlichkeit« beim Adventskonzert des Männergesangsvereins »Goldene Kehle« angeblich passiert sein soll. »Ich werd heute noch rot, wennich daran denke!«, sagt Omma, aber das ist gelogen.

Endlich steht wir beim Oppa am Grapp, Omma sagt: »Hatter schön gemacht, der Gärtner. Naja, war ja au teuer genuch!«, ich betrachte den grauen Himmel, Omma putzt sich die Nase, macht ein paar Sekunden etwas, das bei ihr eigentlich nicht vorgesehen ist (schweigen) und stellt dann apodiktisch fest: »Getz is au bald widda Weihnachten!« Und das ist eine Sekunde, in der mir ganz andächtig zumute wird.

Diese Stimmung kommt in den nächsten Wochen, wenn ich versuche mich durch die tartarischen Horden der anderen Weihnachtseinkäufer zu kämpfen, komplett unter die Räder – und will sich auch im Gottesdienst am 24. Dezember nicht so recht einstellen.

Für manche Leute muß es ja sein: einmal im Jahr muss es sein. Da ist so wie wenn Leute, die sich sonst nicht für Fußball interessieren, sich dann doch das Weltmeisterschaftsendspiel nicht entgehen lassen, schon wegen des gemeinschaftlichen Erlebnisses.

Am Heiligen Abend kann dann der Pfarrer endlich mal wieder vor ausverkauftem Haus auftreten und der Küster hat beim Griff in den Klingelbeutel richtig was in der Hand. Herr Krethi und Frau Plethi stehen sich in der Schlachtordnung der Scheinheiligkeit gegenüber und giften sich mit Blicken an, weil die Glocken des einen in der Hose des anderen hängen. Tante Lisbeth führt noch mal den toten Nerz mit den leer in die Welt starrenden Glasaugen spazieren, und ich frage mich dann immer, ob es dazu vielleicht eine Entsprechung im Tierreich gibt: Läuft da zu Weihnachten vielleicht irgend ein Nerzweibchen durch die Gegend und hat eine tote Omma um den Hals hängen?

Und zwischendurch immer das Gemurmel und Gezische: Stell die Füße nicht auf die Knieplanken! Sitz gerade, was sollen denn die Leute denken! Sag bloß, du hast den Flachmann mitgenommen! Nimm die Hand da weg, wir sind hier in der Kirche! Gib mir auch mal `n Schluck! Nein, ich will jetzt nicht den Witz mit dem schwulen Pfarrer und drei Schafen hören!

Am meisten schätze ich zu Weihnachten die subversive Kraft von schreienden Kindern während des Gottesdienst. Ohne Rücksicht auf die angeblich feierliche Stimmung plärren die alles zusammen, daß die gotischen Fenster zittern. Und zunächst mal nehmen das auch alle so hin. Naja, es ist ja Weihnachten, und der Heiland war an diesem Abend auch ein kleines Kind und hat geschrien, schließlich wird er nicht sofort Gleichnisse gemurmelt oder gesagt haben: Hol mal 5000 Leute her, ich mach euch den Trick mit ein paar Fischen! Aber dieses Verständnis schwindet, so wie auch das Verständnis für den Heiland in den letzten Jahrhunderten geschwunden ist, und dann zeigt der gemeine Christ gerne mal sein wahres Gesicht und brüllt: »Jetzt stopf dem Blag doch endlich mal das Maul!« Und die Mutter reißt sich sofort die Bluse vom Leib, und Flock! rammt sie dem Winzling die weiße Brust in den zahnlosen Mund. (Stillen in der Öffentlichkeit ist mittlerweile schwer in Mode. Ich kenne junge Mütter, die gehen nur zum Stillen in den Supermarkt!)

Die Predigt kann man dann in aller Ruhe zu einem 10-Minuten-Managerschlaf nutzen, und wenn man denkt, jetzt ist alles überstanden, wird man doch noch von der Geißel des modernen Gottesdienstes eingeholt, nämlich den singenden Konfirmanden! Mit Liedermacher- oder Kirchentagsgitarren schleichen sie in den Altarraum und singen mit schräg gelegten Köpfen Unsinn über kleine Hände. Es ist schon ein Kreuz, daß in diesem Lande die gute Absicht immer noch von der ästhetischen Verantwortung enthebt.

Und dann wird gesungen, aber nur die Frauen singen, eigentlich nur die alten Frauen, weil die Männer singen unmännlich finden und keine Noten lesen können. Und bei der Kollekte steckt der Papa einen Zehner in den Sack, und der Küster will schon wieder zufrieden abdrehen, aber der Vater sagt: »Moment!« und fängt an, in dem Sack herumzuwühlen. Der Mutter wird das ganz peinlich. »Was machst du denn da?« – »Ich will wechseln!«

Für mich ist Weihnachten nur ein Geburtstag wie jeder andere auch, noch dazu von jemandem den ich persönlich noch nie gesehen habe, außer als Schnitzarbeit. Den Kirchgang gönne ich mir nur dann und wann aus gleichsam soziologischem und humoresken Gründen.

Und am Abend des zweiten Feiertags, wen wir, müde vom Restefressen bei Omma auf dem Sofa liegen und die Hosen nicht mehr zukriegen, erklärt Omma schließlich die Festivitäten auch offiziell für beendet: »So dat hammwa getz ma widda hinter uns. Abba waate ma app. Dat nächste Weihnachten is nich mehr weit. Geht jedes Jaah schneller!


In diesem Sinne, frohe Weihnachten. ;):santa:

Skyline44
27-12-2003, 20:47
Weihnachten ist vorbei und habe alle gut überstanden somit :lock: