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Vollständige Version anzeigen : Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter?


AgentLie
06-10-2003, 08:05
Wir sollten gerade in Deutsch einen Essay schreiben. Und mir war danach euch daran teilhaben zu lassen ;) :
„Leben wir in einem Aufgeklärten Zeitalter?“
Jeder Mensch sollte Verantwortung übernehmen – für sich aber auch für andere. Die Verantwortung unser Geschick und unser Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wir alle wurden vor fast dreihundert Jahren dazu aufgerufen zu erkennen, zu handeln, zu verändern.

Aber die Realität sieht anders aus. Das konnte man vor allem an den Auswüchsen des dritten Golfkrieges beobachten. Statt selber zu denken überlässt man dies lieber anderen. Das war so bei Kriegsbefürwortern, aber vor allem in Europa auch bei Kriegsgegnern der Fall.
Jeder Quelle wurde - ohne sie zu hinterfragen - als wahr angesehen. Egal ob jetzt Bush verbreitete, dass Saddam Massenvernichtungswaffen besitzen würde, oder auf irgendeiner abstrusen Internetseite verkündet wurde, die Amerikaner hätten das World Trade Center selber vernichtet. Von eigenem differenzierten Denken und einer eigenen Meinungsfindung war bei den meisten Menschen keine Spur. Die Medien haben vor allem in jenem ersten Medienkrieg ein hohes Maß an aufklärerischer Verantwortung in unserer Gesellschaft übernommen und diese schändlichst verraten. Denn durch Desinformation und politischer Propaganda wurde die Aufklärung verhindert. In einer Zeit, wo italienische Präsidenten Monopolstellungen der Presse innehaben fällt es schwer mit Tat zur Mündigkeit zu schreiten.

Auch wenn vor und während des Krieges viele Menschen – in der schützenden Herde – auf die Straße gingen um „ihre“ Meinung kundzutun, kann man allgemein feststellen, dass christliche Normen und humanistische Wertvorstellungen immer mehr an Bedeutung verlieren. Gier und Ausbeutung sind leider alltägliche Erscheinungsformen in unserer Leben. Schon von Kindheit an lernen wir kennen, wie gesellschaftliche Integration als Unterwerfung mehr belohnt wird, als gesellschaftskritisches Denken.
Wie aber kann eine Gesellschaft aufgeklärt sein, in der lediglich eine Minderheit der Gesellschaft wahre Mündigkeit erlangt hat und der Rest glücklich ihren Herdenführern folgt?

Deutschland hat bereits mehrfach – insbesondere vor siebzig Jahren - Erfahrung mit Führern gemacht. Ein Wandel der Gesellschaft hat sich dadurch kaum eingestellt. Kriege werden wieder als mögliches politisches Mittel akzeptiert. Und kaum nachdem wir in den Kosovo einmarschiert sind, durfte die Bundesrepublik auch in Afghanistan an vorderster Front mitschlachten, um damit hinter den USA das Land mit den meisten Auslandtruppen zu sein.
Alles natürlich nur aus „Solidarität“ zu der wir moralisch verpflichtet sind. Man darf es nicht anders sagen. Wir waren moralisch dazu verpflichtet zuzusehen, wie die USA über zweitausend Taliban in der Wüste verdursten ließen. Und wir waren auch moralisch dazu verpflichtet endlich wieder die Opiumproduktion in Afghanistan anzukurbeln.
Ein „Krieg gegen den Terror“ kann jedoch kaum zur Ausrottung des schlechten in einer globalen Gemeinschaft beitragen. Das scheinen inzwischen sogar einige deutsche Politiker begriffen zu haben. Ganz ohne Solidarität.

Haben wir nicht inzwischen nach so vielen Kriegen in Europa etwas gelernt. Gut, hier auf unserem Kontinent hat es seit über 50 Jahren keinen Krieg mehr gegeben… Abgesehen von Jugoslawien, aber das sind ja keine echten Europäer. Und den Nordiren macht es ja sicherlich auch Spaß sich regelmäßig die Köpfe einzuschlagen. Und na ja, im Baskenland werden doch sowieso nur Touristen und fast keine Einheimischen in die Luft gejagt. Also, müssten wir nicht Glaubenstoleranz und friedliche Eintracht längst als unsere Normen und Werte verinnerlich haben? Zum Glück steht ja im Artikel 4 unseres Grundgesetzes – ich habe das nachgeschlagen - (1) „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ sowie (2) „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Demzufolge ist es doch leicht zu verstehen wenn eine muslimische Lehrerin in der Schule auf Grund einer Verordnung kein Kopftuch tragen darf.
Solange wir unsere liberalen Wertvorstellungen nur offen zur Schau stellen, sie aber nicht selber befolgen sollten wir uns fragen, ob man den Artikel 4 nicht besser streichen kann.
Es fehlt aber das aktive Bestreben etwas zu verändern. Wir Deutschen lieben es lang und breit unsere Probleme auszudiskutieren. Die moralische, aufklärerische Erneuerung scheitert also an unserem Unwillen selber die Initiative zu ergreifen. – Ich bin der beste Beweis dafür.

In der industriellen Revolution haben wir es gelernt unsere Gedanken von Egoismus und Habgier leiten zu lassen. Adam Smith schrieb das fünfzig Jahre nach Begin der Aufklärung stolz nieder. Und bis heute hat sich daran wenig bis gar nichts geändert. Unser buntes Regierungsquartet (ein großer Unterschied zwischen den Parteien ist auf jeden Fall nicht mehr festzustellen) beschließt zum Glück jetzt genug Gesetzte, die auch jedem CDU-Politiker alle Ehre machen würden. Der „American Dream“ wird endlich auch in Deutschland Wirklichkeit.
In einer aufgeklärten Gesellschaft sollte die Maxime des menschlichen Handelns jedoch nicht nur durch Nehmen, sondern auch durch Geben bestimmt sein.

Naturwissenschaftlich wird die Aufklärung bis aufs Letzte ausgereizt. Genetik ist eine der Boomtechnologien überhaupt. Gesellschaftlich wird Aufklärung jedoch immer weiter ins Abseits gedrängt. Kritisches Nachdenken ist nicht mehr gefragt. Und solange Politiker lieber „Kinder statt Inder“ fordern werden wir in der Aufklärung auch keine Fortschritte machen, da sie ein Toleranzdenken primär voraussetzt. Durch die Globalisierung sind viele neue Ansprüche entstanden. Der Mensch ist nun gefordert sich weiterzuentwickeln und der neuen Situation anzupassen. Vielleicht können wir so auch der Aufklärung eine neue Chance geben.

mrfloppi2
06-10-2003, 13:01
Boah,wenn das von dir kam, respekt!
Aber bei ner miss-wahl kommste damit nich durch;)
Du hast immanuel kants erklärung zur aufklärung gelesen oda?(hört sich zumindest manchma an..)ich poste das hier einfach mal weil ich denke dass es n guter beitrag is...
Immanuel Kant (1724-1804):
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht im mangelnden Verstand, sondern im fehlenden Mut begründet liegt, sich seines ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude, habe den Mut, dich deines Verstandes zu bedienen, lautet deshalb der Leitspruch der Aufklärung"

Jaja ich weiss..is komplizizert....aba den kern wird man glaubich zumindest verstehen können oda?:jupp:

Volraht
06-10-2003, 15:14
respect ist echt gut geworden.

Aber ich denke das toleranz nicht das "primäre" ist. Es gibt auch falsche toleranz.Und das Kritikdenken sollte man auch auf bereits festgelegte "gesetzte" anwenden , ist aber auch nur meine meinung:thx:

Psycho Joker
06-10-2003, 15:49
Was meinst du mit falscher Toleranz?

@Agent Lie: Sehr guter Text. :)

Aber grad in naturwissenschaftlicher Hinsicht scheint mit eine Aufklärung der Bevölkerung immer wichtiger. Man sollte meinen, die ungeheuren Fortschritte der Wissenschaften hätten auch Fortschritte im menschlichen Denken ermöglicht. Doch leider nada. Wenn ich sehe wieviele Menschen an irgendwelchen pseudo-religiösen, esoterischen, verschwörungstheoretischen Humbug glauben... :noe: man könnte direkt zur Schlußfoglerung gelangen, wir befänden uns noch im tiefsten abergläubischen Mittelalter.

Volraht
08-10-2003, 20:38
mit falscher toleranz mein ich das man dinge toleriert obwohl sie falsch sind wäre für mich zb homosexualität

Veggeto
08-10-2003, 20:45
ist das nicht ein bischen extrem gedacht?

RedBasti
08-10-2003, 21:17
Original geschrieben von Volraht
mit falscher toleranz mein ich das man dinge toleriert obwohl sie falsch sind wäre für mich zb homosexualität

Genau zu diesem Punkt habe ich neulich mal eine schöne Gegenargumentation gehört:

Gott erschuf den Menschen als vollkommenes Wesen und hielt böse Eigenschaften von ihm fern. Der Mensch ist das Prunkobjekt seiner Schöpfung. Und das trifft auf alle Menschen zu.

Außerdem gibt es keinen Grund homosexuelle nicht zu tollerrieren.
Ich weigere mich zwar ihr Sexualleben als normal zu bezeichnen aber das ist auch schon alles.

Ansonsten muss ich sagen, schöner Text Herr Agent.

m1a22
09-10-2003, 14:10
Original geschrieben von Volraht
mit falscher toleranz mein ich das man dinge toleriert obwohl sie falsch sind wäre für mich zb homosexualität

Äh, dann erkläre mir doch mal bitte was richtige Toleranz ist? Ich mein, ich habe auch einegewisse Abneigung gegen Homosexuelle, aber deswegen verachte und diskreminiere sie doch nicht, schlieslich soll jeder nach seiner Auffassung leben.

@hausarbeit

Interessanter Text, stimme zwar einigen Punkten nicht zu, aber ansonsten feine Arbeit. Wie wurde er denn beurteilt (schulisch)?

Bernd_XP
09-10-2003, 15:26
Guter Text, nur an manchen Stellen ist er schon übertrieben wie:Kriege werden wieder als mögliches politisches Mittel akzeptiert

Und zum Immanuel Kant: Wir brauchen nochmal eine Zeit der Aufklärung...Sowas in der Art gehört in soeinen text...

Doc
09-10-2003, 18:03
@Agent Lie:
Sehr, sehr schöner Text, besonders die Hinweise auf Bevormundung durch einige wenige (Presse, Politik) haben mir sehr gut gefallen :)
Mir sind aber 2 "fehlerhafte" Teile aufgefallen ;)

durfte die Bundesrepublik auch in Afghanistan an vorderster Front mitschlachten, um damit hinter den USA das Land mit den meisten Auslandtruppen zu sein.
Alles natürlich nur aus ?Solidarität? zu der wir moralisch verpflichtet sind. Man darf es nicht anders sagen. Wir waren moralisch dazu verpflichtet zuzusehen, wie die USA über zweitausend Taliban in der Wüste verdursten ließen. Und wir waren auch moralisch dazu verpflichtet endlich wieder die Opiumproduktion in Afghanistan anzukurbeln.
Es wurde hier der NATO-Verteidigungsfall ausgerufen, also war der Einsatz verpflichtend.
Zu den Punkten Opium & Verdursten: Das geschieht/geschah außerhalb des internationalen Einflussgebietes, also US-only. Die Opium-Produktion wird wohl erst eingedämmt werden können, wenn die afghanische Regierung genug an Einfluss gewinnt. Das kann also noch einige Jahre dauern ...

Gut, hier auf unserem Kontinent hat es seit über 50 Jahren keinen Krieg mehr gegeben?
Ich erinnere nur an den Prager Frühling '68 *klugscheiss* ;)

@PJ:
Man sollte meinen, die ungeheuren Fortschritte der Wissenschaften hätten auch Fortschritte im menschlichen Denken ermöglicht. Doch leider nada. Wenn ich sehe wieviele Menschen an irgendwelchen pseudo-religiösen, esoterischen, verschwörungstheoretischen Humbug glauben...
Die Wissenschaft kann nicht überall helfen ... und da wo der Mensch sich nicht helfen kann, wird irgendwas angewandt um sich gegen den Eindruck der Hilflosigkeit zu wehren. Natürlich wird auch alles, was gegen sein eigenes Weltbild verstösst von solchen Menschen bekämpft, man trifft sie immer wieder: ewig-gestrige, realitätsfremde Träumer, Verschwörungstheoretiker, ...

Was mir Sorgen macht ist, daß es diese Leute immer öfter auch in einflussreichen Positionen zu geben scheint - auch in der Politik.

AgentLie
10-10-2003, 15:52
Original geschrieben von Doc
Sehr, sehr schöner Text, besonders die Hinweise auf Bevormundung durch einige wenige (Presse, Politik) haben mir sehr gut gefallen :)Danke :D



Es wurde hier der NATO-Verteidigungsfall ausgerufen, also war der Einsatz verpflichtend.Trotzdem hätte man mit der Situation differenzierter umgehen können. Das ganze war ja schon noch sehr emotional geladen. (Bomben wurden mit Grüßen an Bin Laden beschriftet, usw)

Zu den Punkten Opium & Verdursten: Das geschieht/geschah außerhalb des internationalen Einflussgebietes, also US-only. Die Opium-Produktion wird wohl erst eingedämmt werden können, wenn die afghanische Regierung genug an Einfluss gewinnt. Das kann also noch einige Jahre dauern ...Schon richtig aber da konnte ich nicht noch mehr ins Detail gehen und es sollte auch nur ein kleiner Seitenhieb auf die USA sein.


Ich erinnere nur an den Prager Frühling '68 *klugscheiss* ;)Hast du etwa meine feine Ironie überhört?

Bernd_XP
10-10-2003, 17:51
Original geschrieben von Agent Lie
Trotzdem hätte man mit der Situation differenzierter umgehen können. Das ganze war ja schon noch sehr emotional geladen. (Bomben wurden mit Grüßen an Bin Laden beschriftet, usw)

Sowas ist es immer. Bomben werden seit jeher beschriftet(zumindest die, die ich bisher für den krieg gesehen<--Fernsehen hab)